Google search engine

19.09.2024 Interview mit Fabio Guillelmon Stepptanz aus Bern

Im September 2024 führte die SWISS IDO, der Dachverband, ein Interview mit Fabio Guillelmon dem Präsidenten des SwissTap Verbands aus Bern.

Exklusiv Interview mit dem Präsidenten Verband SwissTap
Fabio Guillelmon


Swiss IDO: Fabio, wie bist Du zum Tanz gekommen und wie oder wo hast Du Tanzen gelernt?

Fabio: Ich habe schon immer Sport und Musik geliebt und spiele seit meiner Kindheit Hockey und Cello. Tanzen war irgendwie eine logische Kombination von beiden Welten. Als Stepptänzer ist man sowohl Instrument als auch Tänzer, das fand ich sehr spannend. Den Stepptanz habe ich damals bei BounceTap in Bern entdeckt. Auf meinem weiteren Weg durfte ich vor allem von Dani Borak und Daniel Leveillé viel lernen.

Swiss IDO: Du bist ja seit diesem Jahr Präsident vom SwissTap Verband – wie bist Du dazu gekommen?

Fabio: Da ich für verschiedene Tanzschulen bei Meisterschaften angetreten bin, habe ich viele Kontakte in der ganzen Schweiz. An der Europameisterschaft 2022 durfte ich erste Erfahrungen als Team Captain des Schweizer Teams sammeln. Mir machte das viel Spass und es gab zahlreiche positive Rückmeldungen. Ausserdem meldeten sich Tänzer und Eltern mit Anliegen bei mir, wobei der Traum von einem einheitlichen «Team Switzerland» Outfit für internationale Meisterschaften häufig erwähnt wurde. Diesen Wunsch konnte ich umsetzen und an der WM 2023 kam es zum ersten Teamfoto im einheitlichen SwissTap-Trainer. Ich war stolz auf diese Entwicklung und merkte auch, dass noch viel mehr möglich ist. Im Frühjahr 2023 wurde ich in den Vorstand von SwissTap gewählt. Als aktiver Tänzer und Team Captain bekam ich fortlaufend Ideen der Tänzer und Eltern mit und konnte viele neue Projekte ins Leben rufen. Zu dieser Zeit war das SwissTap Präsidium frei und ich traute mir die Aufgabe zu. Im März 2024 wurde ich zum Präsidenten gewählt und zwei meiner jungen Tanzkollegen wurden ebenfalls Teil des Vorstands, wodurch wir jetzt noch näher am aktiven Tanzsport sind.

Swiss IDO: Was waren einige der grössten Herausforderungen als Tänzer?

Fabio: Die Platzierungen bei den Meisterschaften sind manchmal schwer zu verstehen und das kann sehr frustrierend sein, vor allem, wenn man knapp eine Medaille verpasst hat. Man muss lernen, damit umzugehen, weiterzumachen und einfach noch härter zu arbeiten. Gleichzeitig sollte man sich nicht nur auf die Resultate fixierenund immer das Positive sehen, zum Beispiel die tollen Freundschaften, die anWettbewerbenentstehen.

Ausserdem ist es nicht einfach, in der relativ kleinen «Steppfamilie» Tanzpartner zu finden, welche die gleiche Einstellung zum Training und zu Wettbewerben haben. Deswegen pendelte ich regelmässig von Bern nach Genf, Nyon, Lausanne und Winterthur.

Aus sportlicher Sicht war die WM 2023 für mich die grösste Herausforderung. Ich stürzte bei der ersten Runde im Duo und renkte mir die Schulter aus. Wir schafften es trotzdem in die nächste Runde, und weil ich es im Solo wie auch mit dem Trio und der Small Group bis in den Final schaffte, musste ich insgesamt noch 10 Runden tanzen. Das war von der Energie her eine grosse Challenge, da ich meinen Arm und die Schulter nicht richtig einsetzen konnte, um Schwung zu holen. Dank tschechischen Freunden und ihrem Top-Physio sowie einigen Schmerzmitteln und viel Tape ging estrotzdemund wir wurden mit der Small Group sogar Vize-Weltmeister. Kurz darauf musste ich die Schulter operieren und für einige Monate mit nur einem Arm trainieren, das war recht schwierig. Es war auch nicht einfach, meine Schulter wieder ohne Angst voll einzusetzen und aus dem «Schongang» herauszufinden. Das Comeback zu den Meisterschaften ist mir mit der Goldmedaille am Dance World Cup gelungen und darüber war ich extrem glücklich.

Generell finde ich es schwierig abzuschätzen, wie viel Risko sich bei gewissen Elementen lohnt. Beim Stepptanzen gibt es zum Beispiel eine Technik, mit der man auf der Kante des Fusses bzw. auf dem Fussgelenk landet. Wenn das funktioniert, sieht es recht spektakulär aus, aber es reicht ein Fehler, um sich eine Verletzung zu holen.

Swiss IDO:
Was waren Deine grössten
Erfolge beim Tanzen?

Fabio: Da ich eher spät mit den Meisterschaften angefangen habe, liessen grössere Erfolge etwas auf sich warten – ich musste erst noch «aufholen». Nach Corona und fast zwei Jahren ohne Meisterschaft, wusste niemand, wo man im nationalen und internationalen Vergleich steht. In meinem ersten Jahr bei den Erwachsenen an der EM 2022 gleich zum ersten Mal den Final zu erreichen und den 4. Rang im Solo zu belegen war ein grosser Sprung nach vorne – eine Medaille schien plötzlich greifbar. 2023 gewann ich dann einige zweite Plätze: mit dem Trio EM-Silber, am Dance World Cup im Solo den Vize-Weltmeistertitel und mit der Small Group WM-Silber.

Vor kurzem holte ich am Dance World Cup den Weltmeistertitel im Solo. Dabei freute ich mich auch sehr über meine Wertung von 99,6%, welche die höchste Wertung des 10-tägigen Turniers blieb. Gleichzeitig machte ich meine ersten Choreos für andere Tänzer und war sehr stolz auf das Junioren-Duo von Delia Jost und Vince Bürki, welches ich für den DWC choreografiert hatte und das den hervorragenden 5. Rang erreichte. Ich wurde gerade eben zum zweiten Mal als Lehrer nach Tschechien eingeladen, was ebenfalls eine tolle Chance ist.

Swiss IDO: Was empfiehlst Du für Ausbildungen und Förderungen junger Tänzer?

Fabio: Aus meiner Sicht sind Wettbewerbe eine super Möglichkeit, um weiterzukommen. Sie geben ein klares Ziel vor und man kann die Auftritte der besten Tänzer anschauen, von denen man lernen kann. Es hilft ausserdem, wenn sich Tänzer gemeinsam motivieren und mit gesundem Ehrgeizauf das nächste Level pushen können. Auch wenn man gegeneinander antritt, kann man gut miteinander auskommen und sich gegenseitig Erfolge gönnen – mit vielen meiner ehemaligen und aktuellen Konkurrenten bin ich mittlerweile gut befreundet.

Workshops und Tanzfestivals bieten auch hervorragende Gelegenheiten, um Inspiration zu sammeln. Von nationalen Programmen bzw. Förderprogrammen kann man als Tänzer ebenfalls sehr viel profitieren, weil man anderen Tänzern begegnen und sich mit ihnen vergleichen sowie neue Lehrer kennenlernen kann. Ich denke, es ist notwendig, während seiner Entwicklung bei mehreren Lehrern Unterricht zu nehmen, um verschiedene Stile und Techniken auszuprobieren und zu merken, was am besten zu einem passt. Man kann sich so technisch immer weiter verbessern und seinen eigenen Stil entwickeln. Letzteres finde ich besonders wichtig: Die jungen Tänzer sollen nicht Kopien eines Lehrers werden. Meiner Meinung nach ist es am besten, wenn sie von unterschiedlichen Lehrern jeweils das mitnehmen, was ihnen gefällt und hilft, und sich so zu Tänzern mit unterschiedlichen Stilen entwickeln, welche die Zuschauer erkennen und unterscheiden können. Schlussendlich machen ja genau die Unterschiede zwischen verschiedenen Ausdrucksweisen der Tänzer das Tanzen so spannend.

Swiss IDO: Wie siehst Du die Zukunft des Tanzes und welche Trends erwartest Du in den nächsten Jahren?

Fabio: Ich möchte mich hauptsächlich zum Stepptanz äussern, da ich die Trends der anderen Tanzarten weniger gut kenne. Ich denke, es ist für die Zukunft des Tanzens sehr wichtig, mit der Zeit zu gehen, also auch Neues auszuprobieren – beispielsweise neue Musikrichtungen oder Kombinationen mit Film –, und dies dem Publikum zu zeigen. Viele Leute haben falsche Vorstellungen vom Stepptanz, weil sie bspw. an Fred Astaire, Gene Kelly oder Irish Dance denken. Der Stepptanz hat sich aber seit damals stark weiterentwickelt – das technische Niveau bei den Schweizer- und Weltmeisterschaften ist so hoch wie noch nie –, und das möchten wir gerne präsentieren. Bei Shows bieten sich heutzutage viele neue Möglichkeiten, zum Beispiel Kombinationen mit modernen Technologien wie Projektionen oder sogar Tanzshows mit Augmented-Reality.

Die Corona-Zeiten haben gezeigt, dass Onlinetanzkurse möglich sind, wenn auch nicht immeroptimal. Dort gibt es Potenzial für mehr nationalen und internationalen Austausch, welcher – hoffe ich jedenfalls – in den kommenden Jahren aufleben wird. Instagram oder Tiktok fördern diesen Austausch zwischen Tänzern, die sonst selten oder nie Kontakt hätten, und liefern neue Inspiration.

Es gibt eine zunehmende Anzahl an Workshops, Festivals und Austauschprogrammen, bei denen sich Tänzer und Choreografen von internationalen Tanzlehrern und anderen Tanzformen beeinflussen lassen. Dies wird voraussichtlich zu mehr Verschmelzungen verschiedener Genres und zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Tänzern mit unterschiedlichen Tanzstilen führen. Gleichzeitig werden Soziale Medien, Filme und Fernsehen etc. weiterhin Trends in der Tanzwelt beeinflussen.

Swiss IDO: Welche Vision und Ziele hast du als Präsident und fürs Tanzen in den nächsten 5 bis 10 Jahren?

Fabio: Die Nachwuchsförderung und Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene sind mir sehr wichtig. Je besser der Nachwuchs, desto besser sieht die Zukunft des Tanzens aus.

Wir durften auch in letzter Zeitinternational einige beeindruckende Erfolge feiern, dies ist aberhauptsächlich einzelnen Tänzern zu verdanken. Unser Ziel ist es, schweizweit eine stärkere und breitere Spitze zu bilden, mehr gute Resultate international zu erreichensowie dadurch mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erlangen. So können wir hoffentlich zusätzliche Leute dazu animieren, mit dem Stepptanzen anzufangen. Durch die Förderung des Breitensports finden wir ebenfalls die Talente von morgen.

Für den Spitzensport habe ich dieses Jahr die SwissTap Youth Company erneut ins Leben gerufen, welche nach Corona verschwunden war. Das ist ein Förderprogramm für die schweizweit besten Junioren in Zusammenarbeiten mit den national besten Trainern. Junge, motivierte Tänzer, die mehr Zeit ins Tanzen und Training investieren möchten, sollen optimale Unterstützung erhalten. Generell profitieren Tänzersehr viel davon, verschiedene Inputs von unterschiedlichen Lehrern zu erhalten. Deshalb lege ich viel Wert auf den Austausch unter den verschiedenen Tanzschulen und teilweise eine tanzschulübergreifende Förderung des Nachwuchses.

Zusätzlich bin ich am Abklären von Möglichkeiten für internationale Austausch-/Intensivwochen für ambitionierte Stepptänzer.

Gemeinsam mit Eltern setze ich mich zudemkantonal für Lösungen ein, um Schuldispense für Meisterschaften und Trainings zu erhalten.

Am Dance World Cup war das SwissTap Team davon begeistert, so viele unterschiedliche Tanzstile erleben zu dürfen. Das Konzept einer hochstehenden Show mit verschiedenen Tanzformen funktioniert hervorragend bei der SwissIDO Gala oder dem Swiss Dance Award. Bei Events mit mehreren Tanzstilen ist für alle Tanzbegeisterten etwas dabei, wir können so ein grösseres Publikum erreichen und dadurch mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ich kann mir vorstellen, dass die verschiedenen Tanzarten in der Schweiz noch mehr voneinander profitieren könnten, z.B. durch gemeinsame Workshops oder Shows.

Generell möchte ich die Tanzevents für Interessierte digital zugänglicher machen, beispielsweise durch Livestreams oder Liveticker wie bei anderen Sportarten. Unsere Präsenz in den sozialen Medien muss ebenfalls deutlich verbessert werden. Indem wir die Teams vorstellen, Einblicke hinter die Kulissen geben und dem Tanzen ein „Gesicht“ geben, können wir den Tanz vermehrt mit Emotionen verbinden.

Wir wollen aus dem Schatten der alten Tanzlegenden treten und ein neues Image mit moderner Musik, Effekten und Technik präsentieren.Grundsätzlich möchte ich jede Möglichkeit ergreifen, den Stepptanz in der Schweiz bekannter und fürs breite Publikum attraktiver zu machen.

Das sind nur einige Ansätze. Dabei werde ich auch weiterhin auf die Anliegen undWünsche der Tänzer hören. Viele dieser Ziele sind ambitioniert und werden Zeit brauchen – kurzfristig steht die Förderung der Tänzer im Mittelpunkt.

Swiss IDO: Was sind Deiner Meinung nach die grössten Herausforderungen, mit denen der Tanzsektor derzeit konfrontiert ist?

Fabio: In der Schweiz wird Sport immer noch mehr gefördert als Musik und Tanz. Stepptanz ist maximal bei den «Randsportarten» zu finden. Dies zeigt sich vor allem bei fehlenden Fördergeldern,in teilweise mangelndem Verständnis von Schulen bei der Bewilligung von Dispensen (auch für die WM), in der grossen Schwierigkeit Sponsoren zu finden, oder dem fehlenden Interesse der Medien bei Medaillengewinnen oder WM-Titeln. Meine internationalen Kontakte zeigen mir, dass in gewissen Ländern Tanz stärker wahrgenommen wird und das öffentliche Interesse dort viel grösser ist. Durch eine verbesserte Vermarktung erreichen wir auch in der Schweiz mehr Aufmerksamkeit und zukünftige Sponsoren.

Unsere Gesellschaft ist viel mehr auf Sport und Unterhaltung ausgerichtet als auf Kunst, das müssen wir unbedingt beachten, wenn wir mehr Aufmerksamkeit erhalten wollen. Das Tanzen soll für ein breites Publikum attraktiver werden und dafür braucht es mehr Unterhaltungsfaktor (bspw. bei Shows) und Meisterschaften mit grösserer Reichweite.

Die Tanzwelt ist manchmal ziemlich in sich geschlossen und kann für Aussenstehende verwirrend scheinen. Das macht die Öffentlichkeitsarbeit, auch gegenüber Journalisten, zu einer Herausforderung. Wenn man den Stellenwert und die Bekanntheit des Tanzes in Zukunft ändern möchte,muss man sich auf die Wünsche des Publikums einlassen, Traditionen hinterfragen und Modernisierung zulassen. Meine bisherige Arbeit zeigte mir, dass sich Einzelne mit Veränderung schwertun und Mühe haben, den Fokus in die Zukunft zu richten.Hier müssen wir Kompromisse und einen gemeinsamen Weg in die Zukunft finden – die Tanzwelt ist so klein, dass alle am gleichen Strick ziehen müssen.

Es gibt viele weitere wichtige Themen– eines der grössten davon ist die Finanzierung und das Sponsoring für hochstehende Shows/Produktionen oder Ausbildungsprogramme. Solange keine klaren Marketingstrategien vorhanden sind, werden das Publikum und somit die finanziellen Mittel begrenzt bleiben.

Swiss IDO: Welchen Rat würdest Du jungen Tänzern geben, die eine Karriere im Tanz anstreben?

Fabio: Ich habe noch nicht so viel Erfahrung, um gross Ratschläge zu verteilen – ein generelles Erfolgsrezept für eine Karriere gibt es nicht und alle Tänzer müssen für sich herausfinden, was ihnen Spass macht und zu ihnen passt. Es ist wichtig, verschiedene Inspirationsquellen zu haben, und so seinen eigenen Stil zu entwickeln. Dafür muss man auch viel selber ausprobieren und manchmal scheitern. Das braucht Zeit – aber wer nur andere Tänzer kopiert, wird auf der Bühne nie authentisch wirken. Man muss sich diese Zeit lassen, der Erfolg kommt manchmalnicht sofort, und gleichzeitig sollte man immer bereit sein, um die Chancen zu packen, wenn sie plötzlich auftauchen.

Nicht nur die Auftritte sollten Spass machen, sondern auch die Trainings – man verbringt viel mehr Zeit ohne Publikum als mit. Ohne ein offenes und unterstützendes Umfeld – Tanzlehrer und Tanzschulen, Eltern, Tanz-Freunde, etc. – wirdesmeiner Meinung nach sehr schwierig.

Swiss IDO: Vielen Dank, Fabio, für dieses sehr interessante Gespräch. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg!

https://swisstap.ch/de/

KÖNNTE DICH INTERESSIEREN

BELIEBTE TURNIERE